Seit dem 1. Juli 2025 ist Oliver Blatt Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. Der ehemalige Leiter der Abteilung Gesundheit beim vdek erläutert, wie er sich in seinem neuen Amt für eine gute Gesundheits versorgung im Sinne der Versicherten einsetzen will.

Welche Schwerpunkte setzen Sie als Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes für die Amtsperiode vom 1. Juli 2025 bis 30. Juni 2031?
Oliver Blatt: Aufgrund der hohen Dringlichkeit steht für mich die finanzielle Stabilisierung beider Sozialsysteme an erster Stelle. Die Defizite der letzten Jahre zeigen deutlich, dass wir kurzfristig handeln müssen. Dazu gehört, dass der Staat uns die Kosten für Leistungen erstattet, die die Kranken- und Pflegeversicherung im staatlichen Auftrag erbracht haben – etwa für die Versorgung von Bürgergeldbeziehenden oder im Rahmen der Corona-Hilfen. Gleichzeitig brauchen wir eine gesetzlich verankerte einnahmeorientierte Ausgabenpolitik, die sicherstellt, dass die Ausgaben der Kassen nicht stärker steigen als ihre Einnahmen. Darüber hinaus ist es mir wichtig, strukturelle Reformen voranzutreiben. Wir müssen unsere knappen Fachkräfte effektiver im Gesundheitssystem einsetzen, Doppelstrukturen abbauen und die Digitalisierung sowie die sektorübergreifende Zusammenarbeit stärken. Auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Menschen dürfen wir nicht unterschätzen. Deshalb setze ich mich dafür ein, unser Gesundheitssystem nachhaltiger auszurichten und besser auf klimabedingte Gesundheitsfolgen vorzubereiten. Ein Nachhaltigkeitsgebot im SGB V wäre hier ein wichtiger Schritt. Ein weiterer Schwerpunkt ist für mich die Prävention. Ich möchte dazu beitragen, dass präventive Angebote stärker in die Versorgung integriert werden – vor allem für vulnerable Bevölkerungsgruppen. Dabei ist klar: Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Krankenkassen allein können das nicht stemmen. Es braucht die Mitwirkung von Ländern, Kommunen und der Wirtschaft.
Inwieweit eröffnen sich durch den Politikwechsel auf Bundesebene und den schwarz-roten Koalitionsvertrag neue Chancen, um die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auch insbesondere in finanzieller Hinsicht zu stärken?
Der Politikwechsel auf Bundesebene und der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD eröffnen durchaus neue Chancen, um die gesetzliche Krankenversicherung finanziell zu stärken – auch wenn viele zentrale Fragen noch offenbleiben. Die politische Wertschätzung beim Thema Gesundheit zeigt sich im Koalitionsvertrag leider noch nicht so deutlich. Gesundheit ist in Berlin offenbar nur ein Boder C-Thema, müsste aber ein A-Thema sein! Positiv ist zwar, dass die neue Bundesregierung die finanzielle Stabilisierung der GKV als wichtiges Ziel benennt und eine unabhängige Expertenkommission einsetzen will, allerdings bleiben konkrete Maßnahmen zur kurzfristigen Entlastung bislang weitgehend aus. Wir brauchen aber klare Entscheidungen statt Prüfaufträge und Kommissionsarbeit. Das ist angesichts der akuten Finanzlage der GKV und sozialen Pflegeversicherung (SPV) ein Risiko. Umso wichtiger wird es sein, dass wir als GKV-Spitzenverband unsere Vorschläge aktiv in diesen Prozess einbringen und auch öffentlich deutlich machen, dass es jetzt mutige und nachhaltige Entscheidungen braucht – etwa zur vollständigen Finanzierung versicherungsfremder Leistungen durch Steuermittel oder zur schnellen Begrenzung der Ausgabendynamik. Insgesamt bietet der Koalitionsvertrag eine Chance – aber nur, wenn die angekündigten Reformprozesse zügig, konsequent und mit dem nötigen politischen Willen umgesetzt werden.
2029 findet in Deutschland die nächste Sozialwahl statt. Welche Bedeutung hat die Selbstverwaltung für die GKV und die Gesundheitsversorgung insgesamt?
Die Sozialwahl 2029 ist ein zentrales Ereignis für die gesetzliche Krankenversicherung. Diese drittgrößte Wahl in Deutschland ist ein Ausdruck gelebter Demokratie. Das Selbstverwaltungsprinzip ist ganz wesentlich für die GKV, denn es ermöglicht den Versicherten und Arbeitgebern, über ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter aktiv Einfluss auf die Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung zu nehmen – sei es bei Fragen der Versorgung, der Beitragsgestaltung oder der strategischen Ausrichtung der Krankenkassen. Gerade in Zeiten großer gesundheitspolitischer Herausforderungen ist es wichtig, dass Entscheidungen nicht allein von der Politik oder Verwaltung getroffen werden, sondern von Menschen, die die Lebenswirklichkeit der Versicherten kennen und ihre Interessen vertreten. Die Selbstverwaltung steht für Sach- und Praxisnähe und sie ist ein Garant dafür, dass unser Gesundheitssystem nicht zentralistisch, sondern partnerschaftlich und konsensorientiert gesteuert wird. Die Sozialwahl ist dabei das demokratische Herzstück: Sie gibt rund 50 Millionen Wahlberechtigten die Möglichkeit, mitzubestimmen, wer in den Verwaltungsräten der Krankenkassen sitzt und dort Verantwortung übernimmt. Eine hohe Wahlbeteiligung ist deshalb nicht nur ein Zeichen für das Vertrauen in die Selbstverwaltung, sondern auch ein starkes Signal für ein solidarisches Gesundheitswesen.
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