vdek-Analyse

Moderate Wartezeit auf Psychotherapie

Immer wieder stehen die Wartezeiten auf eine ambulante Psychotherapie zur Diskussion. Eine vdek-Analyse von 1,2 Millionen Abrechnungsdatensätzen der Ersatzkassen aus den Jahren 2019 bis 2021 zeigt ein positiveres Bild als häufig in der Öffentlichkeit dargestellt.

Über die Wartezeiten zur ambulanten Psychotherapie gibt es unterschiedliche Darstellungen aufgrund unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen (s. Abb. 1).

Infografik: Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) gibt knapp 142 Tage durchschnittliche Wartezeit an, betrachtet dabei aber die komplette Zeit von der ersten Sprechstunde bis zur ersten Therapiestunde. In einer deutlich differenzierteren und methodisch nachvollziehbaren Veröffentlichung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) warten Versicherte im Bundesland Bayern von der ersten Sprechstunde bis zur ersten Therapiestunde im Median 97 Tage, im Durchschnitt 139 Tage. Weitere Erhebungen beruhen auf Befragungen von Therapeut:innen bzw. Versicherten. Bei der jüngsten Befragung des GKV-Spitzenverbandes, die im Dezember 2022 veröffentlicht wurde, gaben 74 Prozent der Versicherten an, nicht mehr als 21 Tage bis zur ersten Sprechstunde zu warten und 83 Prozent warten nicht länger als 21 Tage nach der ersten Sprechstunde bis zum Therapiebeginn – wobei hier zu bedenken ist, dass Versicherte Probatorik und Therapiebeginn womöglich gleichsetzen. Die Ergebnisse wurden von Therapeut:innen als nicht valide und nicht plausibel kritisiert.

Diese Gemengelage war für den vdek Anlass genug, einen Blick in die Abrechnungsdaten der Ersatzkassen zu werfen. Zum ersten Mal wurde anhand von 1,2 Millionen Abrechnungsdaten der Ersatzkassen aus den Jahren 2019 bis 2021 untersucht, wie lange die Versicherten zwischen den einzelnen Psychotherapiemodulen Sprechstunde, Probatorik und Richtlinientherapie warten mussten. Dabei wurde angenommen, dass die Zeit, in der Sprechstunde oder Probatorik durchgeführt werden, keine Wartezeit ist. Im Falle der Sprechstunde handelt es sich um einen erforderlichen Baustein der Diagnostik und Steuerung in die geeignete Weiterbehandlung, die übrigens nicht zwingend eine Psychotherapie ist. Bei der Probatorik handelt es sich darum, die Passung zwischen Patient:in und Therapeut:in sowie das Verfahren zu testen. Von besonderem Interesse war dabei, nicht nur die bereits bekannten Median- oder Durchschnittswerte zu ermitteln, sondern eine differenzierte Abbildung der Versorgungssituation zur ermöglichen.

Die Auswertung ergab, dass 75,1 Prozent der Versicherten der Ersatzkassen innerhalb von drei Wochen nach der letzten Sprechstunde ihre erste Probatorik erhielten, wobei 9,5 Prozent länger als sechs Wochen warten müssen (s. Abb. 2). Ähnlich positiv ist das Bild im Anschluss an die Probatorik, wobei an dieser Stelle hinzukommt, dass zwischen Antragstellung und Genehmigung durch die Krankenkassen zwischen drei und fünf Wochen (im Falle der Einschaltung eines Gutachters beispielsweise bei Langzeittherapie) vergehen dürfen. Dennoch können auch hier 61,5 Prozent der Versicherten ihre Therapie drei Wochen nach der letzten Probatorik beginnen, 16,3 Prozent warten allerdings länger als sechs Wochen (s. Abb. 3).

Infografik: Psychotherapie – Abstände zwischen Sprechstunde und Probatorik sowie zwischen Probatorik und Therapie

Auch Median und Durchschnitt wurden betrachtet. Demnach warten die Hälfte der Versicherten nicht länger als zwölf Tage, der Durchschnitt wartet 15 Tage. Zwischen Probatorik und der ersten Therapiestunde wiederum dauert es bei der Hälfte der Versicherten nicht länger als 15 Tage, der Durchschnitt wartet jedoch mit 28 Tagen erkennbar länger. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass es in den beiden ersten Pandemiejahren 2020 und 2021 nicht, wie vielfach kolportiert, zu einem Anstieg der Wartezeiten gekommen ist, tatsächlich sind diese leicht gesunken. Warum ein kleiner Teil der Versicherten deutlich länger als wünschenswert wartet, kann aus den Abrechnungsdaten nicht herausgelesen werden. Wahrscheinlich spielen unterschiedliche Einflüsse, unter anderem auch Urlaub oder Krankheit, eine Rolle, aber auch erforderliche Wechsel der Therapeutin bzw. des Therapeuten oder komplexere Diagnosen.

Dass Median und Durchschnitt so weit auseinander liegen, liegt daran, dass es einige Versicherte gibt, die deutlich kürzer warten – ein paar aber eben auch deutlich länger bis hin zu vielen Monaten. Der Durchschnitt ist in so einer Situation ein wenig aussagekräftiger Wert. Viel hilfreicher wäre es zu prüfen, warum dieser kleine Teil der Versicherten so viel länger warten muss als der Rest.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass zwischen der ersten Sprechstunde bis zu drei Sprechstunden und vier probatorische Sitzungen bei Erwachsenen stattfinden, bei Kindern und Jugendlichen etwas mehr. Diese Behandlungen als Wartezeit zu definieren und zusätzlich nur den Durchschnittswert zu nehmen, ist eine berufspolitisch einzuordnende Strategie der Psychotherapeutenkammern. Anders als bei den meisten Arztgruppen werden mehr Psychotherapeut: innen ausgebildet als Versorgungsaufträge frei werden. Das Ziel der Kammern ist es, die Lage möglichst dramatisch darzustellen, um mehr Psychotherapeut: innen den Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung zu ermöglichen. Hilfreich für eine ernstzunehmende Debatte der Versorgungssituation sind solche Darstellungen nicht.

Auch die Analyse des vdek hat ihre Grenzen. Wie lange Versicherte vor der ersten Sprechstunde warten, kann mit Abrechnungsdaten nicht untersucht werden. Die vorliegenden Versichertenbefragungen deuten jedoch darauf hin, dass auch hier ein guter Teil der Versicherten schnell versorgt wird.

Forderungspapier der Ersatzkassen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein sehr gutes Angebot an Psychotherapie in Deutschland besteht mit einer deutlich schnelleren Versorgung als bei einigen Fachärzten. Ungeklärt ist, warum eine kleine Gruppe an Versicherten deutlich länger wartet. Dies kann auch an ihrem Krankheitsbild liegen, daher ist es gerade bei Psychotherapiepraxen wichtig, dass diese professionell organisiert und gut erreichbar sind und dass auch die Terminservicestellen ihrer Vermittlungspflicht nachkommen. Entsprechend veröffentlichte der vdek bereits im Januar dieses Jahres „Forderungen der Ersatzkassen zur Bedarfsplanung und Reform der Versorgungsstrukturen in der ambulanten Psychotherapie“.

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