Unter dem Motto „Wie werden wir morgen gepflegt?“ haben hochrangige Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf dem Zukunftsforum 2024 des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) über Perspektiven der häuslichen Pflege diskutiert. Angesichts des fortschreitenden Fachkräftemangels braucht es eine Stärkung der pflegenden Angehörigen und professionellen Pflegekräfte, mehr Prävention in der Pflege, gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sowie vernetzte Pflegekonzepte, bei denen die Kommunen eine zentrale Rolle spielen.
Gut versorgt alt zu werden und möglichst lange ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen, ist ein Wunsch, den die meisten Menschen hegen und der sich auch in Zahlen ausdrücken lässt: In Deutschland werden rund 84 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zu Hause gepflegt, überwiegend von An- und Zugehörigen, unter anderem ergänzt durch ambulante Pflegedienste. Dass sich die häusliche Pflege in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich bewährt hat, ist in entscheidendem Maße der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) zu verdanken, die ihr 30-jähriges Bestehen feiert. „Die SPV ist ein Erfolgsmodell und gleichzeitig steht sie vor großen Herausforderungen“, machte die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner eingangs deutlich. Es gehe darum, die Finanzierung zukunftsfest auszugestalten und die Leistungen und Hilfen bedarfsgerecht weiterzuentwickeln.
„Pakt für Pflege“ setzt neue Maßstäbe
Darüber hinaus sind innovative Konzepte und Ideen für eine gute Versorgung im Alter gefragt, um das Problem fehlender Fachkräfte bei gleichzeitig steigender Pflegebedürftigkeit im Zuge der alternden Babyboomer-Generation anzugehen: Welchen Hilfe-Mix wünschen sich die Menschen, wie werden Pflegekräfte, aber auch die An- und Zugehörigen gestärkt, wo kann Digitalisierung helfen – und wie steht es um Prävention? Bei diesen Fragen setzte die vdek-Fachveranstaltung wichtige Impulse, indem sie „Werkzeuge“ für eine Toolbox zum lebenswerten Älterwerden vorstellte. Zugleich richtete sie den Blick auf notwendige politische Rahmenbedingungen und die jeweiligen Verantwortlichkeiten. Wie wichtig die Rolle der Kommunen ist, zeigte Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/Die Grünen und frühere Gesundheitsministerin in Brandenburg) in ihrem Impulsvortrag am Beispiel des Landesförderprogramms „Pakt für Pflege“ auf: „Der Pakt für Pflege geht davon aus, dass wir durch eine Versorgung der Menschen in den Kommunen die Pflegebedürftigkeit verzögern, im Idealfall verhindern können, und dass die Pflege dort ambulant stattfindet.“ Nur wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, greife die vollstationäre Pflege.
Der 2020 in Brandenburg gestartete „Pakt für Pflege“ besteht aus vier Säulen. Kernstück ist das Förderprogramm für Kommunen „Pflege vor Ort“. Hinzu kommen die Förderung des Ausbaus von Pflegeberatung, insbesondere des Ausbaus der Pflegestützpunkte, ein Investitionsprogramm für Kurzzeit- und Tagespflege sowie ein Maßnahmenpaket zur Ausbildung und Fachkräftesicherung. Das Besondere am Landesförderprogramm ist aus Sicht von Nonnemacher der Aufbau alltagsunterstützender Angebote und niederschwelliger Angebote, etwa in Form von Lotsinnen und Lotsen, die betagte Menschen zu Hause besuchen, sei es, um ein Wort mit ihnen zu wechseln, Probleme mit Anträgen bei Behörden zu besprechen oder bei häuslichen Hilfestellungen zu unterstützen. Die Menschen fühlten sich gesehen, jemand höre ihnen zu und auch ihre Probleme fänden Gehör, so Nonnemacher.
Gesundes Arbeiten in der häuslichen Pflege
Um die Stärkung der physischen und psychischen Gesundheit von Pflegekräften geht es im vom vdek unterstützten Projekt „EMMA“, das Dr. Doris Gebhard, Postdoc an der Technischen Universität München, auf dem Zukunftsforum vorstellte. Neben Prävention und Gesundheitsförderung spielten auch Faktoren wie soziale Netzwerke und Rückhalt im Team eine große Rolle für die Gesunderhaltung. „Von den Profis zu lernen“ sei zudem wichtig, um die Situation für die pflegenden Angehörigen zu verbessern, sagte Gebhard bei der Vorstellung eines weiteren Projekts. Entscheidend sei der Teamzusammenhalt.
„Es gibt nicht den einen perfekten Schlüssel, um Pflege gut zu organisieren“, machte die FDP-Bundestagsabgeordnete, Obfrau im Ausschuss für Gesundheit und Gerontologin, Kristine Lütke, in der Podiumsdiskussion deutlich. Die Hebel müssten an vielen Stellen angesetzt werden. So gelte es, bereits im Kindesalter für Prävention und ein gesundes Aufwachsen zu sorgen – als Grundstein für die Gesundheit der Menschen auch im späteren Erwachsenenalter. Prävention, Aufklärung über gesundheitliche Risiken und einen gesunden Lebensstil, aber auch die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit – all das müsse ohne erhobenen Zeigefinger vorangetrieben werden. Darüber hinaus seien Entbürokratisierung und Digitalisierung zentrale Eckpfeiler einer zukunftssicheren pflegerischen Versorgung.
Thomas Meißner, stellvertretender Vorsitzender des AnbieterVerbandes qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen e. V. (AVG), berichtete aus der Praxis des Pflegealltags. Er wies unter anderem auf das Thema Einsamkeit hin und hob die Notwendigkeit hervor, den Pflegebedürftigen soziale Teilhabe zu ermöglichen. Wie Grünen-Politikerin Nonnemacher unterstrich auch Meißner die Wichtigkeit des Zuhörens, aber auch die Bedeutung der sozialen Beziehungen in der Pflege, die Wissenschaftlerin Gebhard in ihrem Vortrag betont hatte. Würde und Wertschätzung bezeichnete Meißner als zentrale Motivationsfaktoren in den Pflegebeziehungen, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Gewinnung neuer Fachkräfte und ehrenamtlich tätiger Menschen.
Auch die Frage nach der eigenen Rolle, um eine bessere Pflege in die Versorgung zu bringen, brachte Dana Bethkenhagen, Moderatorin der Veranstaltung und Redakteurin Gesundheit & E-Health beim Tagesspiegel Background, in die Podiumsdiskussion ein. Gesundheitsförderin Dr. Doris Gebhard betonte, dass die Wissenschaft gefordert sei, zu informieren und valide Evidenz zu Prävention und Gesundheitsförderung bereitzustellen. FDP-Politikerin Kristine Lütke hob ihre Rolle als Vermittlerin der Expertise aus Wissenschaft und Praxis hervor. Ziel sei es, diese Expertise in Gesetze und praktikable Lösungen einfließen zu lassen. Ursula Nonnemacher bezeichnete den „Pakt für Pflege“ ihres Bundeslandes als sozialpolitisches Leuchtturmprojekt, das sich bewährt habe und perspektivisch auch ein Schwerpunkt der Strukturreform der Pflegeversicherung im Bund werden müsse. Einen „erlebbaren Theorie-Praxis-Transfer“, der die Pflege stärkt und verbessert, erhoffte sich Pflegeexperte Thomas Meißner für die Zukunft. „Wir brauchen moderne, tragfähige Konzepte, damit die Menschen auch in Zukunft im Alter gut versorgt sind”, sagte die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner. Zudem bekräftige sie die Notwendigkeit entsprechender politischer Rahmenbedingungen, um gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern aus dem Gesundheitsbereich eine gute Gesundheitsversorgung zu gestalten.